IMPLANTOLOGIE 13.10.2022
Periimplantitis – geht es auch ohne Operation?
Mit der Einführung einer einheitlichen Klassifikation von parodontalen und periimplantären Erkrankungen 2018 wurden nun auch für Implantate Definitionen von Gesundheit und Krankheit festgelegt – eine vergleichbare Evidenz der Periimplantitis sollte daher künftig möglich sein.1 In den letzten Jahren gab es enorme Weiterentwicklungen in der Implantologie hinsichtlich des digitalen Workflows, der Materialien, aber auch neue Erkenntnisse, was zu einem Misserfolg führen kann bzw. wie man einer periimplantären Mukositis und in weiterer Folge Periimplantitis entgegensteuern kann.2
Der Anteil der Patienten mit Implantaten steigt, nicht zuletzt deshalb, weil die Bevölkerung überaltert. Eine Untersuchung an der Universitätszahnklinik Wien (Wienerroither, 2019) ergab, dass der Anteil der älteren Patienten mit Implantaten kontinuierlich steigt. So betrug der Anteil der Patienten zwischen 70 und 75 Jahren mit Implantaten in der Ambulanz im Jahr 2017 bereits 30 Prozent, 2013 lag dieser noch um die 20 Prozent.3 Das Alter bringt verschiedene Dimensionen mit sich, meist mit verschiedenen Erkrankungen, die wiederum zu Polypharmazie und zu Malnutrition führen können. Um einen festen Biss im hohen Alter zu bewahren, setzt man vermehrt auf festsitzende prothetische Arbeiten, die jedoch im Pflegefall manchmal schwieriger zu reinigen sind als herausnehmbare Prothesen. Mit dem Alter steigt zudem das Komplikationsrisiko, eine Periimplantitis ist beinahe schon vorprogrammiert, wenn man nicht rechtzeitig und engmaschig durch Prophylaxemaßnahmen und Reduktion von Risikofaktoren gegensteuert.
Hat ein Knochenabbau um das Implantat begonnen, gibt es nicht wie bei der Parodontitis ein vorhersagbares Therapiekonzept, das verlässlich zu einem Stopp der Entzündung bzw. zu einer Regeneration führt. Dabei hat sich ein Paradigma etabliert, dass bei mehreren freiliegenden Windungen des Implantats ein konservativer Approach limitiert und eine chirurgische Intervention – resektiv oder regenerativ – unausweichlich ist. Die hier gezeigten Patientenfälle sollen jedoch aufzeigen, dass auch anfangs teils hoffnungslose Situationen durch relativ einfach Therapiemaßnahmen gelöst werden konnten, wenn die Periimplantitis noch nicht bis zur vollständigen Mobilität der Implantate fortgeschritten ist (Fall 1).
GALERIE
Periimplantitis – Prävalenz und Risikofaktoren
Implantate als Ersatz für verloren gegangene Zähne weisen auf der einen Seite eine relativ hohe Erfolgsrate auf, wenn man sich Beobachtungszeiträume von über zehn Jahren ansieht.4 Auf der anderen Seite konnte gezeigt werden, dass nach zehn Jahren 10 bis 50 Prozent der Implantate Anzeichen einer Periimplantitis aufwiesen. Im Allgemeinen lässt sich die Prävalenz der periimplantären Mukositis auf bis zu 80 Prozent und jene der Periimplantitis auf zwischen 28 und 56 Prozent beziffern.5 In der täglichen Praxis häufen sich Periimplantitisfälle, deren Entwicklung sich jedoch meist mit bekannten Risikofaktoren in Verbindung bringen lassen.6Hierzu zählen:
- Rauchen
- positive Parodontitisanamnese
- mangelnde Mundhygiene
- unregelmäßige UPT-Intervalle
- systemische Erkrankungen (schlecht eingestellter Diabetes, KHKs, Immunsuppression)
Manchmal ist es auch eine Kombination aus mehreren Risikofaktoren, welche das Komplikationsrisiko drastisch erhöhen. Zitzmann hat bereits in einer Übersichtsarbeit festgestellt, dass die Inzidenz für die Entwicklung einer Periimplantitis bei Patienten mit Parodontitis fast sechsmal höher ist im Vergleich zu Nicht-Parodontitispatienten.7
Patientenfälle
Implantatverlust aufgrund mangelnder Mundhygiene und Lebensgewohnheiten
Bei nachfolgender Patientin (Fall 1) haben mehrere Faktoren zu einem Misserfolg geführt. Trotz eines Konsums von über 40 Zigaretten täglich wurden Implantate so gesetzt, dass eine festsitzende Versorgung möglich war. Die Patientin gab an, keinerlei Gaumenbedeckung zu vertragen, und wünschte unter allen Umständen eine festsitzende Variante. Da weder das Rauchverhalten noch der sonstige Lebensstil mit reichlich Alkoholgenuss oder die Putzgewohnheiten verbessert wurden, war eine Periimplantitis keine Überraschungsdiagnose. Diese tritt meist ab dem „verflixten“ siebten Jahr nach Implantation auf, sofern – wie im folgenden Fall – die Parodontitisbehandlung für das restliche Gebiss ignoriert und der Lebensstil nicht parodontalfreundlich geführt wurde. Vorstellig wurde die Patientin wegen ästhetischer Probleme, jedoch auch, weil die Implantate schon sehr locker waren. Eine durchgeführte konservative Parodontitis- und Periimplantitistherapie mit Schulung im korrekten Gebrauch von Interdentalbürstchen konnte aber letztlich nicht den Verlust der Implantate verhindern.
Implantaterhaltung mithilfe von subgingivaler Reinigung durch Schall und begleitender systemischer Antibiotikagabe
Reicht nun konservative Periimplantitistherapie nie aus, um fortgeschrittene Periimplantitisfälle zu heilen? Die Fälle 2 bis 4 zeigen, dass durch einmalige subgingivale Reinigung mittels Schall und begleitender systemischer Antibiotikagabe eine Wiederherstellung des Knochens um die Implantate möglich war. Nun gibt es eine einfach verblindete, randomisierte klinische Studie, die schlussfolgert, dass eine systemische begleitende Antibiotikagabe nicht unbedingt einen klinisch relevanten Vorteil bringe, wenn man z. B. zusätzlich Amoxicillin und Metronidazol in Kombination systemisch verabreicht.8 Ob es in den hier gezeigten Fällen auch ohne begleitende Metronidazolgabe für sieben Tage nach subgingivaler Reinigung auch zu demselben Effekt gekommen wäre? Einer rezenteren, randomisierten klinischen Studie zufolge führte die zusätzliche Gabe von Metronidazol bei nichtchirurgischer Periimplantitistherapie zu zusätzlichen Verbesserungen der klinisch-radiologischen, aber auch mikrobiologischen Parameter nach einem Zwölf-Monats-Follow-up.9
In den Fällen 2 bis 4 wurde einmalig ein subgingivales Debridement mittels Schall durchgeführt und danach Metronidazol in einer Dosierung von 500 mg dreimal täglich für sieben Tage eingenommen.
Implantaterhaltung durch interdisziplinäre Behandlung
Nicht alle Fälle entwickeln sich so vielversprechend wie die Beispiele zwei, drei oder vier. Der konservative Weg sollte immer zuerst gewählt werden, und wenn dieser nicht zum gewünschten klinischen Erfolg führt, können weiterführende chirurgische Maßnahmen in Betracht gezogen werden, auch unter Zuhilfenahme noch nicht stark evidenzbasierter Methoden.10 Fall fünf zeigt ein bereits verloren geglaubtes Implantat nach Parodontitis-/Periimplantitisbehandlung sowie anschließender Augmentation mit Membran unter GalvoSurge® Anwendung. Solche Eingriffe sind relativ aufwendig und die entsprechenden Kosten für Augmentationsmaterial und Anwendung der Elektrode in jenem Verfahren fallen letztlich auf die Patienten zurück, die für die „Rettung“ des Implantats wieder einen finanziellen Mehraufwand haben. Dabei können solche chirurgischen Eingriffe nur in einer Ordination bzw. in einer Klinik stattfinden – eine Herausforderung, die wiederum ältere Menschen meist nicht mehr bewältigen können, sind sie ja großteils nicht einmal mehr in der Lage, selbstständig einen Termin zu vereinbaren.11
Die beste Periimplantitistherapie ist letztlich die Prävention und Kontrolle der Risikofaktoren, am besten noch bevor mit der Implantation begonnen wird. Der aus meiner Sicht häufigste „Fehler“ liegt in einer unzureichenden Parodontitis- und Periimplantitisprävention, aber auch in einer mangelhaften Therapie, die meist nur aus einer „Mundhygiene“ durch die Prophylaxeassistenz besteht. Manchmal werden Patienten auch dazu „verdonnert“, alle paar Wochen zur Mundhygiene zu kommen – eine bereits vorhandene Periimplantitis würde aber dadurch auch nicht gestoppt werden und es kommt sehenden Auges zu weiterem Knochenverlust.
Folgendes Schema kann dabei helfen, Komplikationen an Implantaten zu verhindern:
- regelmäßige Kontrollen mittels konventioneller Parodontalsonde (eine spezielle Implantatkunststoffsonde ist nicht erforderlich, kann jedoch den Zugang zum Sondieren etwas erleichtern)
- jährliche Kleinbild-Kontrolle der Implantate, um einen beginnenden Knochenverlust sobald wie möglich zu entdecken
- verschraubte Implantate, um bei Komplikationen leichteres Spiel zu haben
- älteren Menschen eine Back-up-Strategie bieten, sodass anfänglich festsitzende Konzepte auch in abnehmbare – bei gleichem Bestand der Implantate – umgewandelt werden können
- putzbares Gestalten der Suprakonstruktion – kein künstliches Zahnfleisch bis zum Kieferkamm
- gewissenhafte Schulung mit Interdentalbürsten – oft wird noch mit der Zahnseide instruiert, welche bei der Reinigung der Implantatsuprakonstruktion meist insuffizient die breiteren Zwischenräume von Plaque befreit.
Alternde Bevölkerung
Laut UNO (World Population Prospects 2019 ) wird der weltweite Anteil der über 65-Jährigen im Jahr 2050 auf über 1,5 Milliarden Menschen ansteigen, wobei diese Bevölkerungsgruppe 25 bis 40 Prozent der Gesamtbevölkerung in der EU ausmachen wird. Mit steigendem Alter nimmt auch der Anteil der Pflegebedürftigkeit zu. Laut Statistischem Bundesamt benötigen beispielsweise 70 Prozent der über 90-jährigen Frauen sowie 50 Prozent der Männer in jener Altersgruppe Pflege, die großteils zu Hause und durch Angehörige stattfindet. Wie passen hier aufwendige möglicherweise auch noch festsitzende Implantatkonstruktionen ins Pflegeregime? Auch bei Patienten, die institutionalisiert sind, scheint das Pflegepersonal überfordert (Beispiel einer Patientin aus einem Wiener Pflegeheim, Fall 6). Es ist daher von entscheidender Bedeutung, auch der älteren Generation einen regelmäßigen Recall anzubieten, insbesondere jenen, die eigenständig nicht mehr die Ordination aufsuchen können. Dabei kommen mobile Einheiten zum Einsatz, was zurzeit leider nur projektartig stattfindet und sich noch nicht für die Allgemeinheit etabliert hat.12
Dieser Beitrag ist in dem Implantologie Journal erschienen.
Ein Literaturverzeichnis finden Sie hier zum Download.